Buchtipp des Monats Dezember

Erwin Böhm, „Verwirrt nicht die Verwirrten“, 2012, Psychiatrie Verlag

Ja, es ist schon ein sehr altes Buch, Ende der 80er erstmals und 2012 in der 15. Auflage erschienen.

Nichtsdestotrotz ist es immer noch ein sehr aktuelles Buch.

Der Österreicher Prof Erwin Böhm, beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Menschen mit Demenz, zunächst ganz praktisch in der Pflege, später dann in der Theorie.

Sein „Psychobiographisches Pflegemodell“ war definitiver Standard in der Ausbildung der ersten Gerontopsychiatrischen Fachkräfte und es war damals eine Wohltat zum Realitätsorienterungstraining (ROT).

Böhms zentrale These ist, dass Menschen mit Demenz besser unterstützt werden können, wenn wir verstehen, was sie meinen und was sie bewegt. So war auch einer seiner Leitgedanken, dass immer zuerst die Seele bewegt werden muss (also auch erreicht werden muss über biographisches Wissen), bevor der Körper folgen kann.

Ja, aus heutiger Sicht sind dieses klare Wahrheiten im Sinne der Biographiearbeit, sie kommen aber aus einer Zeit, in der die Realitätsorientierung und auch das Einfügen in eine Institution eher im Vordergrund stand. Validative und Biographische Ansätze gehörten noch nicht zum Standard.

Böhm schildert in seinem Buch viele Fallbeispiele, die immer wieder Aha-Effekte auslösen – auch heute noch. Denn er tut dies in seiner unvergleichbaren Weise. Seine Schilderungen sind unorthodox, teilweise sarkastisch und mit viel Inbrunst. Ich erinnere mich heute noch an ein Video von ihm, indem er sich mit vollem Körpereinsatz darüber aufregt, dass alten Menschen Hasen zum Kuscheln auf die Bettdecke gesetzt werden….wo diese Generation Hasen doch eher gegessen hat.

Seine frontale Art ermöglicht jede Menge Perspektivenwechsel.

Erwin Böhm, wurde immer wieder vorgeworfen, dass seine Ausdrucksweise bzw die Einfachheit seiner Darstellungen der Professionalisierung der Pflege nicht gerecht wird. Ich finde, dass es das auch nicht muss, denn gerade dieses „Nichthoffieren“ ermöglicht es, Dinge beim Namen zu nennen, die in der Professionalisierung u.U. im blinden Fleck gelandet sind. Zudem spricht sich Erwin Böhm auch für die Pflegenden aus. Er appelliert an diese und auch an die Führungskräfte, sich nicht in einer falsch verstandenen Unterstützungspflicht kaputt zu machen sollen.

Sein Normalitätskonzept zur Reaktivierung könnte somit beiden Seiten helfen.

Das Buch ist manchmal etwas unstrukturiert, aber für Jedermann kurzweilig und reflektionsermöglichend und deshalb auch immer noch aktuell.

Sie finden das Buch auch bei uns in der Mediathek.

 

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